Künstler im Skulpturenpark

Via Lewandowsky

*1963 in Dresden, lebt in Berlin

„Der Hochsitz ist eine exponierte Insel im Wald, auf die man sich zurückziehen kann. Nah dran, aber weit genug weg, um nicht überrascht zu werden. Es ist einer dieser Orte, die vom Benutzer gewisse Befähigungen verlangen, die nicht ohne Entbehrungen zu meistern sind. Stundenlanges Warten, Verharren und ins Dunkel Starren. Der Benutzer wird eins mit der Natur, mit dem Wald. Konzentration wird zur Meditation. Er beginnt zu schwanken wie die Bäume um ihn herum.“ - Zitat von Via Lewandowsyk

 

Da steht er unter den hohen Bäumen des Parks, Via Lewandowskys Hochsitz mit dem Titel, der wie ein Seufzer klingt: Oh Eiche hat der in Berlin lebende Künstler seine 2015 entstandene Arbeit betitelt. Eine Leiter lehnt da wie eine Aufforderung. Doch der Impuls, den Fuß auf die untere Sprosse zu setzen, wird jäh unterlaufen. Schwankt doch der Turm plötzlich so gefährlich, dass er dem Besucher eine gehörige Schrecksekunde beschert. Ein getarnter, auf Federn gelagerter Rahmen und ein Exzenterantrieb sorgen für die Irritation. Als Angebot hinaufzuklettern, sei es ohnehin nicht gemeint, sagt der Künstler. Auch da draußen sei der Jagdsitz ja einsamer Rückzugsort für den Befugten. Sicheren Halt gibt ihm die Brüstung, wenn im Fall des Falles das Gewehr anzulegen ist.

 

Mit der Idee des Schwankens konterkariert Lewandowsky diese Sicherheit. Wer könnte hier oben schon zielgenau seinen Schuss abgeben, wenn alles schwankt? Oder wankt gar die ganze Welt? Fragen aufwerfen, Widersprüche und Paradoxien offen legen, Vertrautes ins Absurde treiben – das sind Grundmotive seiner künstlerischen Arbeit, die sich schon früh manifestiert haben. Nach dem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden (1982–1987) gehörte Lewandowsky zur dortigen Avantgardetruppe „Autoperforationsartisten“, die sich mit subversiven und verstörenden Performances und Aktionen quer zum herrschenden DDR Kunstbegriff stellte. Heute sind immer wieder feine Ironie und hintersinniger Humor Triebfedern seiner Arbeit. Oh Eiche, die Arbeit im Gerisch-Park, rüttelt nicht nur frech an der Standhaftigkeit des deutschen Nationalsymbols, sondern fühlt sich gedanklich auch ein in den Beobachter dort oben. Lewandowsky: „Stundenlanges Warten, ins Dunkel starren. Der Benutzer wird eins mit der Natur, Konzentration wird zur Meditation.“

 

Seinen ersten hinterlistigen Auftritt hatte der Jagdsitz in der Kieler Kunsthalle. Hokuspokus, der Titel von Lewandowskys Einzelausstellung, war Programm. Ein Zauberer, der mit den Erwartungen des Publikums sein trickreiches Spiel treibt, hatte hier seine Bühne. Fast bis unter die Museumsdecke ragte die über vier Meter hohe Holzkonstruktion – bis der Ankauf durch die Gerisch-Stiftung sie gleichsam in ihr natürliches Habitat entließ. Zuweilen sind es aber die fast übersehenen Dinge, die der Künstler in den Fokus rückt. Mit seiner 2018 entstandenen Wandarbeit Apostroph (Glanz der Auslassung) möchte der 1963 geborene Lewandowsky einem orthografischen Diener ein Denkmal setzen. Er verweist damit auf die jüdische Religion. Mit der Schreibweise „G’ tt“ diene das Auslassungszeichen dazu, den Namen Gottes zumindest schriftlich zu fixieren, sei es doch verboten, den Namen in den Mund zu nehmen. Diesen „kümmerlichen Helfer“ zu adeln, gefiel dem Künstler: Sein Apostroph schillert vielfarbig wie ein geschliffener Edelstein. „Als kleiner Zeigefinger“, sagt Via Lewandowsky, „der den Unterschied macht“.

 

Maren Kruse (Aus: OutsideInside - 20 Jahre Herbert Gerisch-Stiftung)

  • Via Lewandowsky, Oh Eiche
    Via Lewandowsky, Oh Eiche, 2015, Diverse Materialien, Höhe ca. 4,20 m, Foto: Yanine Esquivel (HGS)
  • VL Apostroph
    Via Lewandowsky, Apostroph (Glanz der Auslassung), 2018, Kristallglas, geschliffen und poliert, auf Spiegel, 40 × 20 cm, Foto: Alexander Voss
  • VL Apostroph
    Via Lewandowsky, Apostroph (Glanz der Auslassung), 2018, Kristallglas, geschliffen und poliert, auf Spiegel, 40 × 20 cm, in der Villa Wachholtz, Foto: Yanine Esquivel (HGS)